»Wie geht es uns heute?« fragen Politik und interessierte Öffentlichkeit – um gleich zu antworten, es müsse etwas faul sein bei Volk und Nation. Ganz offensichtlich kümmerten sie, seien angekränkelt. Aber was schwächt sie denn? Nun, die Lenker des Staats ergründen, inwieweit seinem Gewaltmonopol und seinen Einflusssphären Ausgesetzte grundsätzlich zu gebrauchen oder eher hinderlich sind; ob und inwieweit es sich bei ihnen gar um Verursacher von abzustellenden Schäden handelt, also um innere und äußere Feinde. Das Audit ergibt eine Kür derer, die nicht (mehr) zum »Wir« gehören. Sie hat ihre Konjunkturen und Wendungen, je nach besonderen Ansprüchen staatlicher Vorhaben.
Die Antwort darauf, wer für Mitgliedschaft im Staatsvolk nicht in Frage kommt, fällt also von Staat zu Staat verschieden aus. Für Israel sind es die Palästinenser. Sie sind dort im Weg, wo es Raum für sein Volk beansprucht. Bewährte Mittel sind Vertreibung und ethnische Säuberung. In Indien hat Modi, gelinde gesagt, Besseres zu tun als Pogrome an Muslimen zu unterbinden. Mancherorts reicht es, überflüssig und fehl am Platz zu sein, um als untauglich ausgemustert zu werden. Aktuell assistiert von El Salvadors Bukele entledigt sich Trump mit drastischen Maßnahmen schmarotzender »Migrantenkrimineller« (beide Wortteile bedeuten ihm dasselbe). Die EU ist auch nicht zimperlich. Sie arbeitet, z. B. mit der Erweiterung der Liste »sicherer« Herkunfts- und »Drittländer«, beharrlich daran, die Löcher zu stopfen, durch die nicht als Arbeitskräfte Rekrutierte – Asylsuchende und »Wirtschafts«flüchtlinge – einströmen könnten. Zugleich macht sie denen, die es leider schon bis zu »uns« geschafft haben, Beine und den Aufenthalt so prekär wie möglich. Wo es Sozialpolitik gibt, wird sie als kärgliches Privileg für sich wirklich verdient Machende organisiert. Der »schlanke Staat« hat viele Formen.
Ein ganz offensichtlicher enormer Schaden liegt dann vor, wenn Bevölkerungsteile in Staats- und Einflussgebieten gegen die Allgemeingültigkeit staatlicher Gewalt mit eigener Gewalt handeln, die Staatssouveränität also bestreiten. In diesem Fall entscheidet die Macht, die aus den Gewehrläufen kommt; mit Sezessions- und Bürgerkriegen; mit als Terrorismusbekämpfung betriebener Vernichtung von Gegnern und ihrem vogelfreien Umfeld, wo immer sie sind und vermutet werden können – von Israel in seinem »Beritt« großregional und von den USA weltweit definiert.
Gewalteinsatz ist auch in Friedens- gleich Vorkriegszeiten nicht überflüssig. Er muss zur Wahl stehen, zu Wahrung und Mehrung schon existenter Gewalt oder für erst noch zu erringende, als das für Staat-, Nation- und Volk-Sein unabdingbare Mittel. Das wird auch amtlich formuliert: »Sicherheit ist nicht alles, aber ohne Sicherheit ist alles nichts.« Wenn (postkolonialer) Krieg geführt wird, so ist sein generelles Ziel nach wie vor: Mit Siegfrieden soll beim Verlierer der Wille des Gewinners zur Geltung kommen, mit nach seinem Gebot einzurichtenden/wieder herzustellenden Verhältnissen. Zwar ist damit an Abstraktheit kaum noch zu Überbietendes gesagt – aber nicht so selten werden Kriege und Scharmützel zuerst einmal für diese Grundsätzlichkeit geführt. Das ist Strategie für Machtzuwächse nach außen. Wenn sie vorausschauend ist, woran sich »war room«-Simulationen und MasalaSzenarien versuchen, dann braucht sie direkt ökonomische Aspekte als Gründe für beispielsweise die Besetzung völlig öder Inselketten nicht.
Das macht den Machtzuwachs durch noch mehr wo auch immer installierte Militärstellungen jedoch nicht zum prozessierenden Zweck an sich. Schon seit Jahrzehnten erhebt die deutsche Staatsräson den Anspruch, den Liefer- und Bezugsbedürfnissen nationalen Kapitals so unbehelligt wie möglich den Weg frei zu machen. Die Sicherung offener Handelswege erfordert militärisches Drohpotential und Optionen, z. B. »terra marique« Kanonen & -Boote und ähnlich Nützliches gegen »systemische Rivalen« einzusetzen. An die »full spectrum dominance« der USA reichen Deutschland/EU zwar noch lange nicht heran, aber (vgl. z. B. den aktuellen deutschen Koalitionsvertrag) sie bemühen sich nach Kräften. Und immerhin: das ist doch schon einmal etwas.