Auszug aus „Abweichende Meinung zu Israel“ von Herbert Ludwig Fertl, Resultate Verlag
Der Wille, eine fremde Herrschaft zum eigenen Vorteil zu benutzen, indem man sie den Interessen der Unternehmer und der Strategen der eigenen Nation geneigt macht, ist Grundlage und Ausgangspunkt aller politischen Beziehungen, die ein moderner Staat zu anderen Staaten eingeht. Nicht ganz so im Verhältnis der BRD zu Israel. Während sonst die Ideologie der Völkerfreundschaft die Konjunkturen des diplomatischen Geschäfts begleitet, wollen die bundesdeutsch-israelischen Beziehungen nach den moralischen Prinzipien von Schuld und Sühne verstanden sein. Und tatsächlich wurden sie 1953 eröffnet mit einer „Großzügigkeit“ der BRD, wie sie sonst nur von Siegermächten dem Verlierer aufgezwungen wird und auch die Westalliierten der BRD auferlegt haben: mit einem Versprechen von „Wiedergutmachungszahlungen“ an Überlebende und Hinterbliebene des nazistischen Völkermords an den Juden sowie direkt an den Staat Israel; einem vertraglichen Versprechen, das zur Überraschung insbesondere der israelischen Partner auch tatsächlich eingelöst wurde, mit ca. 10 Milliarden Mark für Israels Devisenkonten im Laufe von 10 Jahren. Ein eindrucksvoller Triumph der Moral in der harten Welt der Konkurrenz der Staaten – dessen Grundlage und dessen außenpolitischer Zweck allerdings wenig Moralisches an sich haben.
1.
Daß die bundesdeutsche Regierung sich überhaupt zu „Wiedergutmachungs“zahlungen an viele Opfer des Nazi-Terrors und deren Familien entschlossen und ihrem Volk auch diesen Posten noch auferlegt hat, fällt durchaus nicht zusammen mit einer Großherzigkeit derart, daß all denen ein gutes Leben bereitet werden soll, die es im ,,3. Reich“ besonders schwer gehabt haben. Dem widerspricht schon die Berechnungsgrundlage der gesamten Aktion. Da wurde (und wird) im wahrsten Sinne des Wortes ein Entgelt gezahlt: für widerrechtlich eingezogenes Vermögen an die, die derartiges nachweisen konnten, an alle anderen für entgangenes oder geschmälertes (Familien-)Einkommen infolge widerrechtlicher Haft, Verstümmelung oder Tod des ansonsten zum Geldverdienen befähigten „Haushaltsvorstandes“. „Wiedergutgemacht“ werden sollte und wurde damit ein im Nachhinein als unrechtlich beurteilter staatlicher Eingriff in die bürgerliche Existenz geschädigter Untertanen: in ihr Eigentum bzw. in ihre freie Verfügung über sich selbst als Einkommensquelle. Die gesamte Aktion enthielt so eine an brutaler Deutlichkeit nicht zu überbietende Klarstellung darüber, was der demokratische Rechtsstaat seinen Leuten als „Schutz des Lebens“ und ihrer „Freiheit“ gewährt und gewährleistet: das unveräußerliche Menschenrecht, sich nützlich zu machen und dafür je nach den Konjunkturen der Nutzbarmachung des nationalen Menschenmaterials ein Geld zu bekommen. Für die moralisch geschulten Fanatiker beider Seiten gab diese schnöde Aufrechnung von Menschen in Geld denn auch einen schönen Anlaß zur Empörung: den einen darüber, daß überhaupt gefeilscht, den anderen darüber, daß überhaupt gezahlt wurde. Doch war diese heuchlerische Erschütterung leicht abzuschmettern mit der ebenso moralischen offiziellen Unterscheidung zwischen der historischen und moralischen Schuld, die selbstverständlich unbezifferbar und unauslöschlich sei, und den quasi-hausväterlichen Pflichten der Staatsgewalt gegenüber ihren unschuldigen Opfern. Und irgendwie ging es um das letztere ja in der Tat: nicht gerade um die Ideologie staatlicher Fürsorge, wohl aber um den Widerruf und die Korrektur jenes antibürgerlichen Verhältnisses der faschistischen Staatsgewalt zu ihren Untertanen, das nicht auf die. zweckmäßige Einrichtung von Konkurrenz, Lohnarbeit und aller sonstigen Bestandteile einer bürgerlichen Existenz zielte, sondern auf die Vernichtung der bürgerlichen Existenz angeblicher
„Volksfeinde“, die sich in Wirklichkeit gar keine Staats-gegnerschaft hatten zuschulden kommen lassen. Als bürgerlicher Staat, als die zweckmäßige politische Gewalt einer auf Effizienz und sonst nichts festgelegten Konkurrenz, ohne alle faschistischen Abwege und Übertreibungen, hat die BRD sich mit ihren „Wiedergutmachungs“zahlungen praktisch „wieder“-hergestellt.
2.
Dabei lag von Anfang an die entscheidende Betonung auf dem „Wieder“. Denn sehr zielstrebig wollte die BRD in die, und zwar in die exklusive, Rechtsnachfolge des untergegangenen deutschen Reiches eintreten. Die moralischen Unkosten, die sie sich mit diesem Anspruch auf Kontinuität mit dem Nazi Staat einhandelte, waren gerade das rechte politische Instrument, um diesem Anspruch Gewicht zu verleihen, und eben nicht bloß ein moralisches. Mit dem materiellen Opfer, das die Bundesregierung ihrem Volk zugunsten dieses Anspruchs zumutete und an Nazi-Opfer auszahlte, wurde die „rechtliche Nachfolge“ zum politischen Faktum. Und zwar nicht für die eigenen Untertanen – die brauchten allenfalls ein paar harte Anhaltspunkte dafür, daß es jetzt, in der BRD, pur klassengesellschaftlich und nicht „volksgemeinschaftlich“ weitergehen sollte, aber nie und nimmer dazu, um ihre Herrschaft in ihrem politischen Anspruch auf das Erbe der ungeteilten und ganzen reichsdeutschen Souveränität zu unterstützen. Durch den ,,Wiedergutmachungs“-Vertrag mit Israel, das erste von der eigenen Regierung ausgehende internationale Vertragswerk der BRD, wurde ihr imperialistischer Anspruch, allein ganz Deutschland zu vertreten, zu einem international beachtlichen Faktum. Unter dem moralisch völlig unanfechtbaren, diplomatisch gut verwendbaren Obertitel einer durch tätige Reue bewerkstelligten „Rückkehr in die Familie der zivilisierten Völker“ machten die Regierungen der BRD so ihre Politik der Negation der DDR, des „Offenhaltens der nationalen Frage“ gegen die Sicherheitsinteressen des Sowjetblocks, ein gutes Stück weit international respektabel.
3.
Für diesen Zweck war Israel als Empfänger von bundesdeutschen Subventionszahlungen – teils über ihn, teils direkt an ihn als den legitimen Sachwalter der Entschädigungsansprüche aller überlebenden, aller hinterbliebenen und sogar aller ohne Nachkommen ausgerotteten Juden – ganz extra gut geeignet. Es wäre ja in der Tat recht widersprüchlich gewesen, hätte die Bundesregierung dieses Prinzip auch anderen Nazi-Opfern und ihren politischen Organen gegenüber wahrgemacht und beispielsweise die sowjetische oder gar die deutsche Kommunistische Partei für all die Einbußen entschädigt, die ihre Mitglieder um ihrer Mitgliedschaft willen erlitten haben. Da hätte sie ja glatt den Gegner subventioniert, gegen den ihr Alleinvertretungsanspruch zielte, dem sie mit der internationalen Abgeltung von Schuldforderungen an das besiegte Nazi-Reich gerade Gewicht verleihen wollte. Mit Israel kam umgekehrt ein Staat in den Genuß bundesdeutscher Hilfe, der bereits seine bloße Existenz dem Interesse der westlichen Mächte an ihm verdankte und der als auf westliche Unterstützung bleibend angewiesener nahöstlicher Vorposten eine Sicherheit auf alle Fälle versprach, nämlich ein antikommunistisches Bollwerk zu sein. So gesehen waren die „Wiedergutmachungs“gelder keineswegs „verschenkt“, sondern gut angelegt – und fanden und finden ihre sachgerechte Fortsetzung, gerade seit es der BRD gar nicht mehr bloß um nationale Ansprüche wie den auf „Alleinvertretung Deutschlands“ und „Wiedervereinigung“, sondern um weltweiten imperialistischen Einfluß geht, in der Unterstützung Israels durch so gut wie verschenkte Kredite und diskrete Waffengeschenke. Gemeinsam mit seinen westeuropäischen Partnern und mit dem – und in gemäßigter Konkurrenz zu dem – amerikanischen profitiert der neue bundesdeutsche Imperialismus in der Weise von der Stärke Israels, die er mitfinanziert, daß er die Niederlagen der arabischen Gegner Israels zur Geschäftsgrundlage seiner „hilfreichen“ Beziehungen zu ihnen macht. Der kriegerische Radikalismus Israels verschafft mit seinen Erfolgen den imperialistischen Staaten – den europäischen in einer stets kontrollierten Distanz und Konkurrenz zu den USA – die angenehme Position des „Vermittlers“, also des maßgeblichen Arrangeurs der politischen Verhältnisse, die mit der gesamtarabischen Zustimmung zu einer
internationalen „Schutztruppe“ aus italienischen, französischen und amerikanischen Soldaten für die aus Beirut abziehenden Palästinenser bloß einen besonders sinnfälligen Ausdruck bekommen hat. Weil für sie an Israel nun einmal endgültig kein Weg vorbeiführt, steigen die arabischen Staaten auf die politischen „Friedens“- und sonstigen „Angebote“ der Schutzmächte Israels um so lieber ein,je mehr diplomatisch ausnutzbare Distanz Israel mit seinem radikalen Nationalismus zwischen sich und seine Financiers und Kriegsaus-statter legt. Auf Grundlage der israelischen Siege haben EG und NATO aus dem Mittelmeer ihren Binnensee gemacht – und als Geldgeber, Waffenlieferant und Profiteur dieser „Entwicklung“ hat der bundesdeutsche Imperialismus mitgesiegt.
4.
Und das hat er zuwege gebracht mit dem besten Gewissen von der Welt, an dem seine einheimischen Untertanen, die Bundesbürger, als ideellem Lohn für ihre nationale Dienstbereitschaft seit jeher in vollen Zügen teilhaben dürfen. Das schlechte Gewissen, mit dem das neue bundesdeutsche Staatsvolk die „Erbschaft“ des „3. Reiches“ antreten sollte, ist seit jeher das Gütesiegel des neuen bundesdeutschen Nationalgefühls; denn das hat damit ja schon – ohne eine Spur gescheiter Faschismus-, geschweige denn Selbstkritik – den schlagenden Beweis für seine totale Andersartigkeit und damit für seine moralische Unanfechtbarkeit geliefert. Die Judenmorde der Nazis sind so zur besten moralischen Stütze jenes Nationalismus mit Bescheidenheit geworden, mit dem die BRD ihre Selbstdarstellung, der angemessen politisierte Bundesbürger sein Verständnis der BRD als notorisches weltpolitisches Unschuldslamm pflegt, das mit Judenmord und Weltkrieg überhaupt jede moralisch anfechtbare Verwicklung in die imperialistischen Welthändel hinter sich gelassen hätte.
Dieses extragute bundesdeutsche Nationalgewissen hat zwar seinen Preis: den in Antisemitismus erzogenen deutschen Patrioten ist seither die übliche nationale Arroganz gegenüber dem Rest der Welt in einer Richtung verboten, nämlich gegenüber den Juden. Der jedem guten – im Unterschied zu den anderen, schlechten – Deutschen damit als Gewissenspflicht auferlegte, entsprechend geheuchelte „Philosemitismus“ kam und kommt genau soweit auch dem Staat der Juden zugute, wie dessen kriegerische Machenschaften der „Sache der Freiheit“ nützen. Genau insoweit soll zwischen dem israelischen Staat und seinem Judenvolk nicht der geringste Zwiespalt zu entdecken sein. Und damit kam die pflichtgemäße Judenliebe doch immerhin ein wenig auf ihre Kosten: Für keinen siegreichen Krieg durfte der verbotene bundesdeutsche Militarismus sich so bedenkenlos begeistern wie für den des Staates Israel, dem das „harte Schicksal“ seiner Untertanen in den Augen einer in der Sache letztlich einigen demokratischen Öffentlichkeit das moralische Recht zu schlechterdings jeder Brutalität verlieh. Die Distanz zu Israels Sonderimperialismus, die die bundesdeutsche Nahost-Politik nicht erst, aber erst recht seit Israels Libanon-Feldzug einhält, hebt umgekehrt den moralisch umgedrehten Antisemitismus der bundesdeutschen Nationalideologie nicht auf. Jetzt gilt es allenfalls als erlaubt, zwischen Volk und Führung zu differenzieren, so wie eine nationalbewußte imperialistische Weltbetrachtung es sich nach Bedarf bei nützlichen Gegnern und konkurrierenden Verbündeten allemal erlaubt. Um so mehr ist jedoch jede Kritik von bundesdeutscher Seite an Begin und Co. darauf bedacht, sich wiederum auf Volksjuden berufen zu können, die mit diesen Herrschaften nicht einverstanden sind. Daß der Judenstaat samt seinem Volk ein imperialistisches Machwerk ist, diese Einsicht hat noch allemal die ganze moralische Wucht des offiziellen Philosemitismus gegen sich – womit nicht nur und nicht einmal so sehr dieser Staat jeder Kritik moralisch enthoben ist, sondern vor allem der imperialistische Daseinszweck dieses Staates selbst, an dem die BRD als Investor wie als Nutznießer so bedeutenden Anteil hat.