Programmpunkt Soziale Gerechtigkeit oder Die unwidersprechliche Verhimmelung der dauerhaften Ausnutzung im Kapitalismus
Die optische Darstellung des Punktes Soziale Gerechtigkeit auf der Website ist bereits verräterisch. Da sieht man einen Arbeiter mit Helm, der vermutlich mit einem Blick der Hoffnung nach oben schaut. “Hoffentlich hilft mir die Regierung bei meinen Existenzsorgen!” soll wohl die Botschaft sein, die das Bild vermittelt. Ebenso sieht man eine Mutter mit Baby im Arm, die mit eher verzweifelter Miene den Blick nach unten gesenkt. Sie scheint für die existenziellen Sorgen junger Mütter wie etwa einen Kitaplatz zu stehen, deren sich das BSW annehmen wird.
So oder so ähnlich wird das Selbstbildnis potentieller Regierender wie der BSW-Mitglieder sein: Sich um die Sorgen der Menschen politisch kümmern. Nun gut, die Sorgen sind unbestreitbar. Existenzielle Nöte auch. Das BSW weiß: “Viele kommen trotz Vollzeitjob mit ihrem Einkommen kaum noch über den Monat. Das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft gilt nicht mehr, der persönliche Wohlstand hängt längst wieder vor allem vom sozialen Status der Eltern ab.[…] Weil Kita-Plätze fehlen und unsere Gesellschaft alles andere als familienfreundlich ist, leben besonders häufig Alleinerziehende und ihre Kinder in Armut […] Millionen ältere Menschen können nach einem langen Arbeitsleben ihren Ruhestand nicht genießen…”
Schuld ist nach Ansicht des BSW eine gemeinwohlfeindliche Politik und es resümiert: “Der persönliche Wohlstand darf keine Frage der sozialen Herkunft, sondern muss das Ergebnis von Fleiß und individueller Anstrengung sein.”
Bleiben wir zunächst bei den Bildern auf der Website: Die Sicht auf die von existenzieller Unsicherheit Betroffenen ist hochinteressant. Einerseits schreibt das BSW bezogen auf die Arbeitenden selbst: “Sie sind es, die unsere Gesellschaft am Laufen halten…” Ein Geständnis über unsere Gesellschaft, welches bemerkenswert ist: Die gleichen Leute, die “unsere Gesellschaft am Laufen halten”, kommen mit ihrem Einkommen “kaum noch über den Monat”. Bedeutet im Klartext, dass die Produzenten des Reichtums offenbar nicht über den verfügen. Einerseits also nützlich mit der eigenen Hände Arbeit und gleichzeitig ohnmächtig über das Resultat dieser Arbeit zu verfügen.
Das BSW quatscht diese Menschen jedoch auch nur als Ohnmächtige, als Unterworfene dieser Zustände an. Das ist einerseits der beschriebenen Bildgestaltung zu entnehmen – wir erinnern uns an den hoffnungsvoll nach oben schauenden Arbeiter. Dass da so ein bedröppelter Trottel und kein Klassenkämpfer, der seine Lage selbst in die Hand nehmen will, abgebildet ist – das ist kein Zufall. Aber auch der Programmtext des BSW ist da eindeutig, man muss einfach weiterlesen “Sie sind es, die unsere Gesellschaft am Laufen halten und einen Großteil der Steuern (!) zahlen”. Als Steuerzahler, also als Unterworfene von Zwangsabgaben, die immerhin doch Regierende wie potenziell Regierende wie das BSW ihnen auferlegen, werden sie mit “Respekt” – wie es dann weiter im Text heißt – bedacht und angequatscht. Auch interessant. Anerkennung in ihrer Rolle als produktiv für das Kapital Unterworfene soll ihnen zuteil werden. Ohnmächtig bezüglich des von ihnen geschaffenen Reichtums sollen sie weiterhin bleiben und natürlich brav Steuern zahlen. Auch unter der BSW Politik, deren Posten schließlich von diesen Angesprochenen auch bezahlt werden soll. Wie man von Respekt einkommensmäßig über den Monat kommt, sollte man bei solchen Ansagen nicht nur beim BSW, sondern auch bei den anderen Demokraten im Kopf haben.
Es wird auch nicht besser, wenn man sich die weiteren Vorschläge ansieht: “Wir wollen den Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts stoppen und die Politik wieder am Gemeinwohl ausrichten. […] Eine hochproduktive Wirtschaft braucht qualifizierte und motivierte Beschäftigte. Die Voraussetzung dafür sind leistungsgerechte Löhne, sichere Arbeitsplätze und gute Arbeitsbedingungen. […]. Um Lohndrückerei zu verhindern, sollte die Tarifbindung wieder gestärkt und die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erleichtert werden. Zugleich braucht unser Land einen zuverlässigen Sozialstaat, der Zukunftsängste abbaut und vor einem sozialen Absturz im Falle von Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter schützt.”
Die Gesellschaft driftet auseinander und die Politik macht nichts. Ein beachtenswerter Themenwechsel, den man nicht so leicht durchgehen lassen sollte: Eben ging es noch um soziale Unsicherheit – jetzt um das Verhältnis von diesen sozial Unsicheren zu “großen Konzernen und sehr reichen Privatpersonen”, die später genannt werden und sich der “Finanzierung des Gemeinwesens entziehen”. Das BSW nochmal: “Seit Jahren wächst in unserem Land die Ungleichheit. […] Die Vermögenskonzentration in Deutschland ist heute so hoch wie vor Beginn des Ersten Weltkriegs, als in Berlin noch der Kaiser regierte. Während Konzerne sogar in Krisenzeiten Rekorddividenden ausschütten, werden die Schlangen an den Tafeln immer länger. […]”
Und wer will schon die Kaiserzeit mit den Zylinderkapitalisten zurück oder wie soll man das verstehen?
Anyways: Bemerkenswert ist daran, dass eine Änderung des Verhältnisses von Reich und Arm gar keine Garantie der Abschaffung von existenziellen Sorgen ist. Einerseits, weil das BSW selbst sagt, dass “das Gemeinwesen” vom Vermögen der Reichen finanziert gehört und kein Lohn davon erhöht werden soll. Andererseits aber auch ganz logisch: Nur weil es weniger Reiche und weniger Arme gibt, bedeutet das doch gar nicht zwingend, dass das eigene Einkommen für den monatlichen Bedarf ausreicht. Einerseits tritt das BSW im Namen der sozial Ungesicherten auf um andererseits die Frage der sozialen Sicherung in das Reich des Zufalls zu verfrachten, solange alle nur zusammenhalten.
Von den Gründen der Existenznöte möchte das BSW auch gar nichts wissen. Zwar werden “Lohndrückerei”, fehlende Tarifbindung, unsichere Arbeitsplätze, schlechte Arbeitsbedingungen und ein mangelhafter Sozialstaat benannt. Ein Subjekt, welches Löhne drückt, Tarifbindungen umgeht, die Arbeitsbedingungen einrichtet und die Notwendigkeit eines Sozialstaates für die Wechselfälle der Lohnarbeit wie Arbeitslosigkeit und Krankheit herstellt – das will das BSW nicht sehen. Verfremdet werden die kapitalistischen Subjekte “hochproduktive Wirtschaft” genannt und auch das ist kein Zufall. Man will keine Verantwortlichen benennen, man will ja deren Erfolg durchaus. Das erwähnt die Sahra stets und ständig in den Talkshows, wenn sie der Regierung unter Wirtschaftsminister Habeck die Ruinierung “unserer Wirtschaft” vorwirft.
Darauf läuft das Programm des BSW also hinaus: Diejenigen, die den Reichtum schaffen, sollen sich in die ihnen feindlich gegenübertretenden Bedingungen dieser Reichtumsproduktion und die private Aneignung des Geschaffenen durch die Unternehmer unterordnen, solange die Politik sich Steuern von eben jenem geschaffenen Reichtum aneignet und mit Sozialstaat und Überwachung des Arbeitsrechts für die ewige Benutzung dieser nützlichen Idioten sorgt.
Das ist also der gesellschaftliche Zusammenhalt des BSW. Dieses Verhältnis kriegt mit “sozialer Gerechtigkeit” seine unwidersprechliche Verhimmelung als Höchstwert. Dafür sollte man sich besser nicht einspannen lassen – egal, ob vom BSW, der Linkspartei oder sonstigen Fanatikern dieser Werts.