13. November 2023

Stichwort: Bündnis Sahra Wagenknecht Teil 1 – Der fruchtbare Boden auf dem es wuchs

Vor guten zwei Wochen hat sich das Bündnis Sahra Wagenknecht – kurz BSW – vorgestellt. Es ist ein Verein, aus dem eine Partei für „Vernunft und Gerechtigkeit“ entstehen soll. Mit diesen unwidersprechlichen Höchstwerten überschreiben die Gründer ein bisher vorläufiges Programm. Darin geht es um eine „innovative Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit, Frieden, individuelle Freiheit und offene Diskussionskultur.“ […]
99 ZU EINS

Vor guten zwei Wochen hat sich das Bündnis Sahra Wagenknecht – kurz BSW – vorgestellt. Es ist ein Verein, aus dem eine Partei für „Vernunft und Gerechtigkeit“ entstehen soll. Mit diesen unwidersprechlichen Höchstwerten überschreiben die Gründer ein bisher vorläufiges Programm. Darin geht es um eine „innovative Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit, Frieden, individuelle Freiheit und offene Diskussionskultur.“ Also noch mehr unwidersprechliche Höchstwerte.

Die vertreten zwar alle anderen demokratischen Parteien auch, trotzdem soll nach Ansicht der Gründer des BSW nur ihr politisches Programm diese Werte verwirklichen. 

Man kann an der Stelle etwas über diese Werte lernen: Sie rechtfertigen ein bestimmtes politisches Programm, denn aus sich selbst heraus ergeben diese Werte gerade kein konkretes solches wie etwa die Höhe eines Mindestlohns. 

Anyways – die konkreten Programmpunkte sollen noch Thema in weiteren Tidbits sein. Hier geht es um die produktive Verarbeitung von systematischer Unzufriedenheit in der Demokratie in Zustimmung zu dieser. Also der Vorgeschichte vom Bündnis BSW.

Wie kam es zu dieser Parteigründung? Und was kann man über Demokratie und Unzufriedenheit in ihr lernen? Nun: Unzufriedenheit ist in jedem Fall hier der Ausgangspunkt. Von Sahra Wagenknecht, ihren Mitstreitern und den Menschen, die der Sahra immer schreiben. Beispielsweise heißt es auf der Homepage der BSW: „Viele kommen trotz Vollzeitjob mit ihrem Einkommen kaum noch über den Monat.“

In einer Gesellschaft, an der das eigene Bedürfnis so weit reicht wie das Einkommen, ist das ein guter Grund zur Unzufriedenheit. Zumal man die Höhe des Einkommens jedenfalls als ein Jobber nicht bestimmt, sondern die Zahler des Einkommens, die Unternehmen. Die haben offenbar kein Interesse daran, dass ein Lohn über den Monat reicht. Und da dieses Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer für letztere die alternativlose Einnahmequelle in dieser demokratisch garantierten Ökonomie ist, kommt Unzufriedenheit in dieser auch systematisch vor. Nicht erst seit dem BSW. Auch schon zu Zeiten Ludwig Erhards, den die Sahra Wagenknecht so schätzt und das BSW damals hieß SPD.

Diese systematische Unzufriedenheit speist sich jedoch nicht nur in der ökonomischen Lage als Arbeitnehmer. Diese machen leider den Fehler, ihre missliche materielle Lage als Folge schlechter Regierung anzusehen. Wie kommen die darauf? Immerhin ist es doch dieselbe Regierung, die sie auf die schäbige Einkommensquelle Lohn alternativlos verweist. Nun, was man sagen kann: Die alternativlose Abhängigkeit der Jobber von ihrer Anwendung als Arbeitnehmer durch „die Wirtschaft“ und das unerschütterliche Urteil, dass dieses Verhältnis trotz aller negativer Erfahrung ein gutes Mittel zum Leben sei, führen bei den Betroffenen zu einem positiven Urteil über den Garanten dieser ökonomischen Lage: Den demokratischen Staat.

Und wer sich so weit geistig vorgearbeitet hat, der sorgt sich auch darum, dass die Regierung ihre Arbeit macht. Und auch da gibt es wieder systematisch Gründe zur Unzufriedenheit.. Warum eigentlich? Weil die Abteilungen des demokratischen Staates Widersprüche eigener Art mit sich bringen und zudem das Gelingen der angepeilten Staatsziele im Kapitalismus national wie international von Variablen abhängig ist, welche die Regierenden gar nicht in der Hand haben.

Jedenfalls: Für die zum Patrioten mutierten Arbeitnehmer stellen sich dann plötzlich Fragen wie der Sahra und ihren Kollegen: Sollen wir die Wirtschaft fördern, damit wir nicht in der internationalen Konkurrenz ins Hintertreffen geraten? Oder geraten wir gerade dann ins Hintertreffen, weil wir den Haushalt belasten und die Unternehmen Zweifel an der Härte der Währung hegen? Sollen wir mehr Geld für das Abschieben der Ausländer ausgeben, damit Ordnung herrscht oder herrscht nicht Ordnung, wenn wir den sozialen Zusammenhalt durch Integration stärken? Sollen wir die Reichen in ihrem Vermögen besteuern, damit wir die Schulen oder das Gesundheitssystem finanzieren? Oder lassen wir die Reichen mit dem Vermögen lieber investieren und finanzieren aus den eingenommenen Steuern die Schulen? Oder finanzieren wir lieber ein Militär, damit wir eine uns nützliche Weltordnung mit dem Amis einrichten können und greifen Störer dieser nützlichen Weltordnung an oder nutzen wir solche Störer lieber zur Gaslieferung für unsere Industrie, damit die gegen die internationale Konkurrenz erfolgreich ist? Oder stemmen wir alles gleichzeitig?

Fragen über Fragen, wenn man die kapitalistische Ökonomie als Staat national bewirtschaften und sich den Globus dafür herrichten möchte – und jede Menge Gründe für Unzufriedenheit, weil die Garantie des Gelingens von Wirtschaftswachstum und imperialistischer staatlicher Durchsetzung nicht nur in der eigenen Hand liegt.

Zurück zur Regierung und ob sie ihre Arbeit macht und dem BSW. Ob eine Regierung ihre Arbeit macht, darüber wacht in einer Demokratie die Opposition. Deren Leistung besteht darin, die Unzufriedenheit in die Zustimmung zu ihr als kommende Regierung zu überführen. Das passiert permanent und erst recht zu Wahlen. Jeder kennt das: Dann wählen selbstbewusste Patrioten eben nicht mehr die SPD, sondern die oppositionelle CDU. Die regiert dann und wenn der Geduldsfaden reißt: Bei der nächsten Wahl wird wieder SPD oder eine andere oppositionelle Partei gewählt, die die Unzufriedenheit in Zustimmung zur nächsten Regierung überführt.

Es gibt noch weitere Mechanismen, wie mit Unzufriedenheit in der Demokratie umgegangen wird. Zu nennen wäre die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Volksentscheide. Man merkt: Die Agenten der Demokratie wissen sehr genau, dass Unzufriedenheit und Beschwerden ein Dauerproblem sind – ob sie Gehör im Sinne einer Beseitigung der Gründe für die Beschwer finden, entscheiden die Demokraten aber am Ende selbst. So totalitär ist auch die Demokratie. Wem das nicht reicht, darf dann sogar noch selbst eine – Achtung: natürlich verfassungskonforme –  Partei gründen.

Wir sind mit der Parteigründung als Moment des Umgangs mit der Unzufriedenheit in der Bevölkerung schon fast beim BSW. Wir müssen hier nun nur noch definieren, warum es diese neue  Partei für die Gründer brauchte. Immerhin war ein Teil derer in der Partei die Linke.

Erstens: Durch die Krisen der letzten 15 Jahre war die genannte Leistung der Opposition für den patriotisch denkenden Bürger nicht durchgehend wahrnehmbar: Finanzkrise, Migrationskrise 2015, Corona, Ukraine-Krieg und Deutschlands Beteiligung, Energiekrise, Inflation, jetzt Krieg zwischen Hamas und Israel. Man merkt, dass in diesen Krisenzeiten trotz aller Differenzen der demokratischen Konkurrenten es etwas gibt, worum sie gemeinsam streiten: Um Deutschland. Und wenn dieses durch Krisen in Gefahr gerät, dann passt kein Blatt Papier zwischen die Parteienkonkurrenz und es fehlt dann aber auch der wahrnehmbare Einspruch der Opposition.

Zweitens: Davon profitierte bis zuletzt die rechtskonservative AfD. Mit denen will das BSW aber nichts gemein haben, obwohl aus der Partei selbst durchaus die gemeinsame patriotische Sorge um Deutschland beim BSW erkannt wird und dementsprechend Anträge zum Beitritt an Wagenknecht gestellt werden. Die lehnt aber ab: Sie bestreitet dem AfD-Programm einen Nutzen für Deutschland, den sie wie die AfD doch so herbeiregieren wollen.

Drittens: Bei der Partei „Die Linke“ sehen die BSW-Gründer ein Versagen hinsichtlich einer oppositionellen Leistung in den genannten Krisenzeiten.

Das alles ist der fruchtbare Boden für das BSW.

Wichtig: Die Betreuung einer Ökonomie, ihres nationalen und internationalen Wachstums, dessen Erfolg die Demokraten aber wegen der ökonomischen wie staatlichen Konkurrenten gerade nicht allein in der Hand haben –  da verspricht das BSW: Wir regieren den herbei und seifen so die aktuell Unzufriedenen zur Zustimmung für das BSW ein.

Wie und mit welchem Programm das BSW diesen Widerspruch „lösen“ will und wie die Parteienkonkurrenz sowie die Medien reagieren, dazu mehr in den nächsten Tidbits zum Stichwort Bündnis Sahra Wagenknecht. Bis dahin – bleibt gespannt und uns gewogen. Auf Wiederhören.

Admin991
Author: Admin991

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