Vor dem Hintergrund der Angriffe der Hamas auf Israel zitiert die jüdische Allgemeine den israelischen Verteidigungsminister Galant nach einer Lagebeurteilung in der Stadt Beer Sheva wie folgt:
»Ich habe eine vollständige Belagerung des Gazastreifens angeordnet. Es wird keinen Strom geben, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff. Alles ist geschlossen«. Weiter sagte er: »Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und wir handeln entsprechend.«
Menschliche Tiere? Vor dem Hintergrund der im alten Testament überlieferten Schöpfungsgeschichte ließe sich die zunächst widersprüchlich erscheinende Formulierung Galants von menschlichen Tieren fast wie eine Portion erfrischende Aufklärung verstehen. Auch wenn es die Frömmler aller Weltreligionen nicht so gerne hören: Menschen sind Tiere. (Von ameisigen oder krokodiligen Tieren ist in der Zoologie allerdings selten die Rede…)
Nun ist Yoaw Galant kein Zoologe oder Anthropologe und schon gleich kein zweiter Darwin sondern Verteidigungsminister eines Landes, das sich nach dem Angriff der Hamas soeben in den Kriegszustand versetzt hat, also einen solchen zu führen gedenkt. Gegen wen?
Darüber gibt es bisher bekanntlich noch keine eindeutige Auskunft. Die bisher größte Mobilisierung in der Geschichte Israels von 300.000 Reservisten lässt allerdings erste Dimension erkennen, in welcher Größenordnung die Vorbereitungen laufen. Und die Aufforderung von Premierminister Netanjahu an die ca. 2,5 Millionen Palästinenser im Gazastreifen, diesen schleunigst zu verlassen, ohne Fluchtkorridore zu öffnen oder Aufnahmeländer zu nennen, lässt auch erste Schlussfolgerungen zu.
Die Äußerungen von Galant ist denn auch offenkundig keine leicht misslungene Gattungsbezeichnung „des Menschen“. Der Verteidigungsminister meint auch nicht nur die Hamas. Als „menschliche Tiere“ gemeint sind im Zusammenhang des Zitats die Palästinenser; zumindest jene im Gazastreifen.
Und warum ordnet der oberste Kommandeur der potentesten Streitmacht des Nahen Ostens und praktizierender Hobbyzoologe die Bewohner von Gaza als Tiere ein?
Offenbar, weil er sie – nach eigenen Worten (s.o.) – so zu behandeln gedenkt. Das ansonsten übliche Tötungsverbot zwischen Menschen soll also nicht gelten bzw. gilt regierungsamtlich im Falle der Palästinenser in Gaza nicht, weil diese nach den Worten des Kriegsministers zwar wie Menschen erscheinen, aber in Wirklichkeit Tiere sind, d.h. entsprechend behandelt und geschlachtet werden dürfen.
Zwischenfazit: Die Aussagen von Netanjahu und Galant lassen nichts Gutes erwarten für die Palästinenser in Gaza und womöglich darüber hinaus. Womöglich zielt der radikale Rassismus auf die Endlösung des Gaza-Streifens und seiner Bewohner. Man wird sehen…
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass der militärische Führer der „radikal islamistischen“ Hamas den Angriff auf Israels Soldaten und Bürger/innen an erster Stelle mit dem Ziel begründet, „den letzten Apartheidsstaat der Welt“ zu bezwingen.
Bemerkenswert ist dies bei aller Brutalität und Hybris der Attacke deswegen, weil die palästinensische Filiale der Muslimbrüder in erster Linie eben keine religiöse sondern eine antirassistische, geradezu menschenrechliche Begründung für ihren Aufstand wählt.
Mit den Äußerungen von Gallant erfährt diese Begründung übrigens eine nachträgliche Bestätigung durch den Verteidigungsminister der „einzigen Demokratie“ im Nahen Osten.
Allerdings: Wenngleich die Aussage vom Apartheidsstaat Israel zutreffend sein mag, erklärt dies noch nicht, warum die Hamas diese Begründung und nicht die Religion für ihr Vorgehen heranzieht. Vielleicht, weil sie ein Bewusstsein davon hat, dass über den kommenden Krieg jene Mächte entscheiden, die die Menschenrechte zur Geschäftsgrundlage ihrer Herrschaft bestimmt haben? Vielleicht, weil auch jene Palästinenser für den Aufstand mobilisiert werden sollen, die christliche, laizistische oder sozialistische Überzeugen und Ziele teilen? Vielleicht ist dies auch Ausdruck einer Verweltlichung innerhalb der Muslimbruderschaft bzw. der palästinensischen Gesellschaft. In jedem Fall ist es allerdings „bemerkenswert“.
Nachtrag: Die aktuellen Vorgänge in Gaza (https://www.tagesschau.de/ausland/asien/israel-gaza-evakuierung-100.html) werden vom ARD als Massenevakuierng bezeichnet. Letztere ist eine zeitlich begrenzte Maßnahme des Bevölkerungsschutzes im Katastrophenfall. Die betroffene Bevölkerung wird für diese Zeit in Gebiete und Unterkünfte evakuiert, in denen keine Gefahr droht. Danach kann sie in ihre Siedlungen, Häuser, Wohnungen zurück kehren.
Wie aus der ARD Nachricht selbst hervorgeht, ist hier das Gegenteil der Fall: Die israelische Armee unterbindet die Versorgung von Strom, Wasser, Lebensmitteln für 2,3 Millionen Menschen. Seit sechs Tagen läuft die Zerstörung ihrer Wohnhäuser. Selbst die Versorgung der Überlebenden in Krankenhäusern ist inzwischen unmöglich. Flüchtende können nicht ausreisen. Die Gebäude des UNHCR, des Roten Kreuzes, des palästinensischen Roten Halbmond – also von Akteuren, die im Falle von Evakuierungen eine wichtige Rolle spielen – sind ebenfalls unter Beschuss. Die Aufforderung zur Evakuierung ohne Fluchtkorridore ist auf Unerfüllbarkeit berechnet. Und sollte eine Flucht noch möglich werden, so ist eine Rückkehr dank Zerstörung der Häuser und Infrastruktur ebenso sinnlos wie unmöglich.
Fazit: Massenevakuierng? Wohl kaum. Vertreibung? Schon eher, zumindest, wenn doch noch irgendeine Fluchtmöglichkeit angeboten wird bzw. sich ein Staat dieser Welt zur Aufnahme erbarmt. Ansonsten ist es schlicht ein ein Genozid mit Ansage, den die Tagesschau hier zur „Massenevakuierng“ erklärt. Man wird ohnmächtig sehen…