Dank »geschichtlicher Vernunft« ist der Pappkamerad, ein »real existierender Sozialismus« widerspreche der Menschennatur, abgeräumt worden. Dennoch lebt der »Gegensatz der Systeme« immer noch, nun neu verpackt unter alter Führung. Jetzt geht es um »Werte- und Regelbasiertheit« gegen Schurkenstaaten, die diese mit Füßen träten. Wann und wo entsprechende Verstöße zu ahnden sind, das hängt ausschließlich davon ab, ob und inwieweit sich Staaten (wie weiland Persien unter dem Schah als Freund von Israel und den USA oder aktuell Saudi-Arabien) dafür dienstbar machen, das aufzutragen, was die Küchen der Chefkochs des Universums anrichten. Wenn z. B. Staat A Frauen unterdrückt, so ist das nicht automatisch dasselbe wie wenn ein befreundeter Staat B das auch tut; B braucht zum Aufholen seiner Rückständigkeit lediglich ein bisschen Zeit und Nachhilfe, während A nur mit Gewalt Mores gelehrt werden kann. Ähnlich fällt der Vergleich von Russlands Ukrainekrieg und dem Angriff Israels und der USA auf den Iran aus. Der eine war »unprovoziert«, also verwerflich, der andere löblich, da verständlicherweise »präventiv«, Vorwärtsverteidigung eben. An Wohlbegründetheit also kein Mangel. (Das »Doppel«moral zu nennen ist ein Pleonasmus; Moral ist per se eine axiomatische Rechtfertigung von A gegen B: Ich bin präzise, andere sind Erbsenzähler.) Das neue Etikett des alten »Systemgegensatzes« ist insofern zeitgemäß, als es kenntlich macht, dass die Bekehrung so gut wie aller (maßgeblichen) Staaten zum kapitalistischen Wirtschaften keineswegs ein Einfallstor für »ewigen Frieden« öffnet. Im Gegenteil: Kapitalismusstaat A bekriegt Kapitalismusstaat B, weil dessen Imperialismus dem seinen so hinderlich wird, dass leider Waffen sprechen müssen. Dabei haben die USA das Auge darauf, dass militärisches Freund-gegen-Freund unterbleibt. Und angesichts des willkommenen »Aufwuchses« der EU gegen den Russen wird sich der Oberbefehlshaber, derzeit in Gestalt von »POTUS« Trump, früher oder später mit der Frage befassen, ob dies die US-Suprematie auszuhöhlen drohe.
Wenn es noch kleinere Schurkenstaaten gibt, dann selten, und es scheint, als ob die USA, z. B. im Fall Nordkoreas, dann vor einem Angriff zurückscheuten, wenn der Feind eben auch über atomare Massenvernichtungsmittel verfügt. Unterstellt ist dabei immer noch die fraglose Unterlegenheit des kleinen Feindes, wegen der sich Trump momentan zu Nordkorea keinen Kopf machen will. Bei den großen Feinden (die es ohne ihre Wuchtbrummen auch schon lange nicht mehr als selbstbestimmte gäbe) geht das nicht. Wegen Autokratie, Expansionismus, Ideenklau, Dumping und weiterem Bösen, so heißt es, seien Russland und China jetzt eben (oder immer noch) »systemische Rivalen«. Tatsächlich sind sie aber welche, weil sie beim Betreiben des wirtschaftlichen Systems ihrer Gegner nebst eines dazugehörigen Imperialismus‘ für westlichen Geschmack unhinnehmbar erfolgreich sind. Wenn z. B. China seinen Imperialismus eher diplomatisch-ökonomisch organisiert, so geschieht dies nicht aus besonderer Friedfertigkeit heraus, sondern deshalb, weil es – und Russland ohnehin – mit der vom Westen nach Kräften behinderten Bewirtschaftung und Absicherung von Nationalterritorium und Einflusssphären alle Hände voll zu tun hat (Stichwort »Überdehnen«).
Auch wenn Russland seine Bewohner mit einem Atomschirm ziemlich vor Bombenhagel schützt (im Unterschied zu Serbien, das das nicht vermochte), so ist es kein Menschheitsbeglückungsveranstalter. Es und China verfolgen, nicht anders als ihre westlichen Gegner, mit gleichen Methoden gleiches: Mit dem die Bevölkerung schädigendem Einsatz von ihr als Kapitalverwertungs- und militärisches Durchsetzungs- und Behauptungsmittel für das Wohlergehen von Staat und Nation. Wenn USA/NATO/EU etc. nun unentwegt vom Zwang reden, gegen die zwei schon einmal ein scharfes Schießen vorzubereiten, dann deshalb, weil sie deren ökonomisch-militärische Potenz schlicht nicht haben wollen. Das ist ein freier Beschluss, der die Spielregeln dann ändert, wenn der»freie Wettbewerb«, als dessen Musterknaben sich die Störenfriede darstellen, (zu) ungünstig verläuft. China und Russland haben dem Westen als verlängerte Werkbänke und Rohstofflieferanten zu seinen Konditionen zu dienen – und wenn sie sich dem nicht anbequemen, müssen sie eben dazu gezwungen werden. Ein gleichberechtigendes »Willkommen im Klub der Großen« ist für sie nicht vorgesehen.
Sollte jemand nun Mangel an Fairness monieren, so hat er, um die blöde Phrase ausnahmsweise zu gebrauchen, »den Schuss« wirklich »nicht gehört« (und muss sich zur Strafe – Imperialismus als Kartenspiel – ein paar »wonderfulle« Trump-Videos reinziehen, die zeigen, wie man mit Freunden umgeht). Wären die Arbeiter, z. B. die russischen, chinesischen und sogar die deutschen, aber nicht besser dran, wenn ihnen Krieg erspart bliebe? Sicher, aber wenn sie einem Imperialismus gehorchen, dann müssen sie in den von ihm angebauten sauren Apfel Krieg bzw. ins Gras beißen, wenn die Zeit reif ist (weitere Informationen erteilt die deutsche Warn-App). Kriege von Imperialisten gegen Imperialisten sowie deren Friedenszeiten stützen sich auf die willige Verfügbarkeit menschlicher Manövriermassen für Profit als Basis staatlichen Reichtums und für Inanspruchnahme als Kanonenfutter bei Kämpfen um verwertbare Teile des Mutterkuchens Erde.
Die Trumpfkarte pazifistischer Anklage lautet: weil Kriege nur zerstörten, brächten sie doch nichts (?). Gäbe es keine von Verdächtigen, z. B. dem militärisch-industriellen Komplex, der den guten Staat kapere, ausgelösten Kriege, so wäre alles in Butter; deshalb: wir wollen unseren Friedenswilly wiederhaben! Diese Beschwörungen beantworten Regierungen seit Jahrzehnten mit der zutreffenden Auskunft, der Staat lasse sich vom Meinen seiner Herde nicht erpressen (auch Willy kannte Notstand), und mit einem dem »Primat der Politik« verpflichteten Handeln. Die Herde erhebt den einem Abgleich mit ihren Lieblingsvorstellungen entspringenden Einwand, das sei aber so was von undemokratisch. Die Regierung weist das damit zurück, dass das Staatswohl schließlich ihre Angelegenheit sei. Beweis: sie wurde gewählt. Angesichts dessen könnte man sich (vgl. oben) nach dem Inhalt des Staatswohls fragen – aber das ist dann auch nicht mehr so konstruktiv. Und da sich viele Pazifisten zugleich auch als gute Staatsbürger verstehen, lassen sie davon lieber die Finger.
Die zweite durch den Kapitalismus/Imperialismus geschaffene »Unbekömmlichkeit« besteht im kapitalistischen Stoffwechsel mit der Natur. Diese scheidet er als giftige Schlacke aus, wobei ein »Re-« und »Upcycling« als Placebo für Gewissenswürmer fungiert. Unentbehrlich fürs Profitmachen ist eine um (irreversible) Folgeschäden unbekümmerte Rücksichtslosigkeit gegen den Bestand natürlicher Ressourcen, der der Staat als vorsorgliche Instanz mildernde, jedoch die Wettbewerbsfähigkeit nicht gefährden dürfende Verlaufsformen gibt. Und wenn er entsprechend priorisiert hat, dann sind ihm auch Wasserspiegel schnuppe; der Wasserverbrauch zur Kühlung von wie Pilze aus dem Boden schießenden »Cloud«- (sehr lustig!) Serverfarmen muss halt sein und wird verfabelt zu Fluch und Segen moderner Technik (das ewige Besinnungsaufsatzthema).
Wenn die »Fridays for Future«, die »Letzte Generation«, die Friedensbewegung und andere darauf hinweisen, dass die Apokalypse jetzt stattfindet, dann sind sie realistisch, nicht alarmistisch, treffen ins Schwarze. Mit der Begründung für diesen Zustand liegen sie jedoch voll daneben. Eine Variante von Karl Valentin kommt in den Sinn: »Wollen hätten wir schon mögen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut«. Sie wollen »radikal«, aber auf keinen Fall »extrem« sein, und dieser Voreinstellung wegen sind Kapitalismus- und Imperialismuskritik, die nötig wären (Rudolf Netzsch hat das in »Nicht nur das Klima spielt verrückt« klar herausgearbeitet), für sie Tabubereiche. Entsprechend divers und recht beliebig, aber garantiert moralisch fallen die Verurteilungen aus, mit denen sie den Gang der Geschäfte begleiten.
Zieht man aus, um das Fürchten zu lernen, so ist man auf FFF nicht angewiesen. Auch der staatliche Medienladen bietet ein reichhaltiges Gruselsortiment. Eine kleine Auswahl: Putin, Xie, Mullahs, Messermänner, Schmarotzer, Desinformanten und viele andere im ständigen Angebot. Welche Finsterlinge dürfen es denn sein? Es findet sich sicher etwas für jeden Geschmack. Für neue Lieferungen bitte die Nachrichten und Talkshows einschalten.

